Kein Automatisches Merkzeichen H bei Erkrankung mit Adrenogenitalsyndrom


Landessozialgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat
09.11.2016
L 6 SB 94/16
Juris



Leitsatz

Die versorgungsmedizinischen Grundsätze zur Beurteilung der Hilflosigkeit bei an Diabetes mellitus erkrankten Kindern und Jugendlichen sind nicht übertragbar auf Kinder, die an einem Adrenogenitalem Syndrom (AGS) mit Salzverlust erkrankt sind.


Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 60 sowie den Nachteilsausgleich “H“ (Hilflosigkeit). Randnummer2 Bei dem am … 2013 geborenen Kläger wurde wenige Tage nach der Geburt ein klassisches Adrenogenitales Syndrom (AGS) mit Salzverlust diagnostiziert. Bereits am 21.03.2013 wurde mit der Therapie mit Hydrocortison bzw. Fludrocortison (Astonin H) begonnen. Am 29.03.2013 konnte die am 20.03.2013 begonnene stationäre Behandlung beendet werden. In der Folgezeit erfolgte eine engmaschige Kontrolle der Blutwerte. Ab Juni 2013 erfolgte diese Kontrolle in Dreimonatsabständen. Zu diesem Zeitpunkt traten zunächst keine Probleme auf, insbesondere war eine “Stressdosis“, das heißt eine Erhöhung der Medikamentation in Stresssituationen, nicht erforderlich. Im Zeitraum vom 16.04.2014 bis zum 22.04.2014 wurde der Kläger wegen einer akuten Gastroenteritis durch Rotaviren stationär aufgenommen. Eine Infusionstherapie mit Glucose-Elektrolytlösung wurde über vier Tage durchgeführt (zunächst zwei Tage, dann nach Pause bei zweitem Gipfel der Gastroenteritis mit zunehmenden Durchfällen wieder aufgenommen). Eine zusätzliche Elektrolytsubstitution war zu keiner Zeit nötig. Die Gabe von Hydrocortison musste über eineinhalb Tage wegen Fieber verdreifacht werden. Danach konnte zur regulären Dosierung zurückgekehrt werden (Entlassungsbrief vom 05.05.2014 des St. M - und St. A – Klinik für Kinder- und Jugendmedizin -, L a R , Privatdozent Dr. M und Frau Dr. K ).

Am 26.03.2014 beantragte der Kläger über seine Eltern als gesetzliche Vertreter bei dem Beklagten die Feststellung einer Behinderung nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) unter Vorlage eines Berichts des St. M - und St. A , L a R , vom 28.10.2013. Der Beklagte zog weitere Berichte des Krankenhauses vom 21.06.2013, 14.09.2013, 17.01.2014 und 05.05.2014 bei. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes, Dr. G , vom 23.05.2014 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.05.2014 den Antrag ab, da die von dem Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen keinen GdB von wenigstens 20 bedingten.

Hiergegen legte der Kläger am 11.06.2014 Widerspruch ein und bezog sich dabei auf einen vorläufigen Entlassungsbrief des St. M - und St. A vom 22.04.2014 betreffend den stationären Aufenthalt vom 16.04. bis zum 22.04.2014 sowie ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachen-Bremen vom 03.05.2006 (L 9 SB 45/03).

Dr. S vom Ärztlichen Dienst des Beklagten empfahl daraufhin in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 06.07.2014 ohne nähere Begründung die Feststellung eines GdB von 60 sowie des Nachteilsausgleichs “H“ bei einer Nachuntersuchung am 01.03.2031.

Mit Datum vom 01.08.2014 nahm Dr. L vom Ärztlichen Dienst des Beklagten gutachtlich Stellung und empfahl weiterhin einen GdB von 10. Die vorgelegte Entscheidung aus Niedersachsen von 2006 widerspreche den Einlassungen des ärztlichen Sachverständigenbeirats von 1996, welcher damals zu dem Ergebnis gekommen war, dass das Krankheitsbild eines AGS mit Salzverlust bei Weitem nicht dem eines Diabetes mellitus Typ I entspreche. Es müssten über den Tag verteilt mehrere Tabletten gegeben werden, sonst sei nichts zu veranlassen. Die Kinder entwickelten sich dann auch regelrecht. Jungen würden sich unter der genannten Therapie auch hinsichtlich ihres Geschlechts normal entwickeln.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers schaltete sich in das Verfahren ein und begründete den Widerspruch des Klägers nach Akteneinsicht ergänzend dahingehend, dass die Rechtsprechung zum Diabetes mellitus vorliegend nicht anwendbar sei. Beide Leidensbilder seien nicht vergleichbar. Die Anhaltspunkte 1996 und 2004 hätten keine Bedeutung mehr, nachdem mittlerweile die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 in Kraft getreten sei. Der Kläger begehre einen GdB von 60 sowie den Nachteilsausgleich “H“.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die rechtliche und medizinische Prüfung habe unter Beachtung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze für die ärztliche Gutachtertätigkeit ergeben, dass die von dem Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen einen GdB von mindestens 20 nicht bedingten. In seinem Urteil vom 25.10.2012 (B 9 SB 2/12 R) habe das Bundessozialgericht (BSG) bei der GdB-Einstufung den Diabetes betreffend ausgeführt, dass eine pauschalierte GdB-Bewertung nicht vorgenommen werden dürfe. Vielmehr müsse insgesamt gesehen die betreffende Person krankheitsbedingt erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Eine solche wesentliche Teilhabebeeinträchtigung durch das Adrenogenitale Syndrom mit Salzverlust bestehe nicht. Vielmehr müssten über den Tag verteilt mehrere Tabletten eingenommen werden. Der Hilfebedarf erreiche im Regelfall nicht zwei Stunden pro Tag und liege somit auch nicht über dem Hilfebedarf eines gesunden gleichaltrigen Kindes. Er sei keineswegs vergleichbar mit dem Aufwand bei einem Kind mit Diabetes mellitus, bei dem mehrfach täglich und zum Teil nachts Blutzucker gemessen und dann in Abhängigkeit dieses Wertes und der aufgenommenen Nahrung und der voraussichtlichen Aktivität die Insulingabe berechnet werden müsse. Dies habe im Übrigen auch schon der Sachverständigenbeirat im November 1996 festgestellt. Insofern verweist der Beklagte auf die Niederschrift über die Tagung “Versorgungsmedizin“ des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim damaligen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 18. und 19.11.1996.

Der Kläger hat am 24.10.2014 Klage beim Sozialgericht (SG) Speyer erhoben, mit der er sein Ziel, - Feststellung eines GdB von 60 sowie des Nachteilsausgleichs “H“, - weiter verfolgt.

Das SG hat ein medizinisches Gutachten bei dem Privatdozenten Dr. B , Leiter der Sektion Pädiatrische Nephrologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin der J -G -Universität M , vom 08.08.2015 erstellen lassen. Der Sachverständige hat hierin ausgeführt, dass vor allem im Säuglingsalter eine erhebliche Gefährdung durch mögliche Elektrolytentgleisungen und Störungen des Zuckerstoffwechsels im Rahmen von Infektionen und anderen Stresssituationen bestehe. Von der Diagnosestellung an sei eine regelmäßige korrekte Einnahme der Medikamente erforderlich, wobei eine Abweichung von der strikten Medikamenteneinnahme unmittelbar zur Gefährdung führe. Regelmäßige Kontrollen des Hormon-Elektrolyt- und Kohlehydratstoffwechsels mit entsprechenden Blutentnahmen seien insbesondere im Säuglings- und Kleinkindesalter (bis zum zweiten Lebensjahr alle drei Monate, dann alle sechs Monate bis zum Abschluss des Wachstums, dann jährlich) erforderlich. Im Übrigen hat der Sachverständige Ausführungen zu verschiedenen Studien betreffend weiterer möglicher Konsequenzen der Erkrankung (Wachstumsdefizite, Übergewicht, Hodentumor, Einschränkung der Zeugungsfähigkeit, Osteoporose und Osteopenie im Erwachsenenalter, Auftreten von Insulinresistenz) gemacht. Im Vergleich zu einer orthostatischen Dysregulation seien die Krankheitsfolgen des AGS sowie auch die psychischen Beeinträchtigungen schwerwiegender. Vergleichbar sei das AGS mit anderen Erkrankungen des endokrinologischen Systems wie der Diabetes mellitus und – verbunden mit einer weniger ausgeprägten Gefährdung – der Morbus Addison (Nebenniereninsuffizienz). Im Hinblick auf den Nachteilsausgleich “H“ hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Diabetes mellitus an die Eltern bzw. Sorgeberechtigten hinsichtlich des Betreuungsaufwandes zweifellos deutlich höhere Anforderungen als im Falle eines AGS stelle. Eine Zuerkennung des Merkzeichens “H“ für das AGS sei daher nicht zwangsläufig zu rechtfertigen. In seiner abschließenden Stellungnahme empfiehlt der Sachverständige allerdings aufgrund der bestehenden Beeinträchtigungen und (potentiellen) Belastungen, denen ein Junge bzw. Mann mit einem AGS mit Salzverlust ausgesetzt sei, die Zuerkennung eines GdB von 50. Das Merkzeichen “H“ könne in Analogie zum kindlichen Diabetes mellitus bis zum Alter von 18 Jahren aufgrund der besonderen Gefährdung durch potentiell lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen, die eine ständige Überwachung des Kindes erforderten, zuerkannt werden.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 22.12.2015 unter Berücksichtigung des Gutachtens des Privatdozenten Dr. B ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass ab Antragsdatum ein GdB von 30 unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörung Andrenogenitales Syndrom mit Salzverlust anerkannt werde. Das begehrte Merkzeichen “H“ könne nicht festgestellt werden. Es fehle an einem so hohen Betreuungs- und Pflegeaufwand wie bei einem an Diabetes mellitus erkrankten Kind, bei dem ein GdB von 40 bis 50 vorliege. Insofern verweist der Beklagte auf eine gutachtliche Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes, Dr. W -S , vom 18.12.2015.

Der Kläger hat das Teilanerkenntnis als solches angenommen, den Rechtsstreit im Übrigen aber fortgeführt.

Das SG hat den Vater des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27.04.2016 persönlich gehört. Dieser hat erklärt, normalerweise würden dreimal täglich zwei Medikamente verabreicht. Wenn sein Sohn Durchfall, Fieber habe oder sich erbreche, müsse die Kortison-Dosis auf das drei- bis fünffache erhöht werden. Wenn dies nichts nütze, sei ein Krankenhausaufenthalt notwendig. In den letzten drei Jahren sei es zu jeweils einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr gekommen.

Mit Urteil vom 27.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei über das Teilanerkenntnis vom 22.12.2015 hinaus nicht begründet. Dem Kläger stehe kein höherer GdB als 30 zu. Die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung im Bereich des SGB IX sei nach dem Ausmaß aller körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen unabhängig von ihren Ursachen zu bemessen (§ 69 Absatz 1 Satz 5 SGB IX i.V.m. § 30 Absatz 1 Bundesversorgungsgesetz – BVG). Hierzu sei auf die in der Anlage zu § 2 Satz 2 VersMedV festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze zurückzugreifen, auch wenn das bei dem Kläger bestehende AGS in diesen nicht erwähnt sei. In einem solchen Fall sei der GdB in Analogie zu vergleichbaren Gesundheitsstörungen zu beurteilen, die dort erfasst seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 27.02.2002 – B 9 SB 6/01 R). Nach dem Gutachten des Privatdozenten Dr. B vom 08.8.2015 sei das AGS mit Salzverlust in Bezug auf die Gefahr der Stoffwechselentgleisung mit anderen Erkrankungen des endokrinologischen Systems vergleichbar. Dem AGS mit Salzverlust liege nämlich eine Synthesestörung des Cortisols und zudem eine Synthesestörung des Aldosterons zu Grunde, deren Bildung aus Vorstufen wegen eines Enzymdefekts der 21-Hydroxylase unzureichend erfolge. Die Cortisol-Bildung finde neben zahlreichen weiteren Steroid-Synthesevorgängen in der Nebennierenrinde statt. Insofern stelle das AGS eine Störung einer der wesentlichen Funktionen der Nebennierenrinde dar. Der Morbus Addison (Nebenniereninsuffizienz) sei als Maßstab für die Beurteilung der Behinderung bzw. des Behinderungsgrades weniger geeignet, da dieser mit einer weniger ausgeprägten Gefährdung verbunden sei. Gleiches gelte für das Phänomen der orthostatischen Dysregulation, da die Krankheitsfolgen des AGS schwerwiegender seien. Von den Erkrankungen des endokrinologischen Systems komme daher der Diabetes mellitus dem AGS am nächsten. Somit seien für die Beurteilung des AGS die Grundsätze für die Bewertung des GdB analog anzuwenden, die für den Diabetes mellitus gelten. Diese seien in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Teil B 15.1 wie folgt festgelegt: Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen könne und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt seien, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdB rechtfertige. Der GdB betrage 0. An Diabetes erkrankte Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen könne und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtig seien, erlitten durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB betrage 20. An Diabetes erkrankte Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen könne, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssten und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt seien, erlitten je nach Ausmaß des Therapieaufwandes und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdB betrage 30 bis 40. An Diabetes erkrankte Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführten, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden müsse, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtig seien, erlitten aufgrund dieses Therapieaufwandes eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (bzw. Insulingaben über die Insulinpumpe) müssten dokumentiert sein. Der GdB betrage 50. Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen könnten jeweils höhere GdB-Werte bedingen. Nach der Entscheidung des BSG in seinem Urteil vom 25.10.2012 (B 9 SB 2/12 R) könne allerdings beim Diabetes mellitus das Erfordernis von “täglich mindestens vier Insulininjektionen“ nicht so verstanden werden, dass ausnahmslos an allen Tagen eine Anzahl von vier Insulininjektionen durchgeführt werden müsse. Eine Bewertung des GdB, die sich ausschließlich an der Zahl der Insulininjektionen pro Tag orientiere, überzeuge nicht. Vielmehr sei der Therapieaufwand neben der Einstellungsqualität zu beurteilen (BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 10/06 R). Der GdB sei relativ niedrig anzusetzen, wenn mit geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht werde. Der GdB sei bei (in beeinträchtigender Weise) wachsendem Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) höher einzuschätzen. Nicht erforderlich sei ein “ständiges“ Anpassen der Dosis. Entscheidend sei die Abhängigkeit der jeweiligen Dosierung vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der folgenden Belastung. Sie könne demnach unter Umständen auch mehrfach gleich bleiben. Jedenfalls sei nicht allein auf die Anzahl von zusätzlichen Korrekturinjektionen abzustellen. Zudem müsse die betreffende Person durch Auswirkungen des Diabetes mellitus auch insgesamt gesehen erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein. Das komme in Teil B Nr. 15.1 Absatz 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze durch die Verwendung des Wortes “und“ deutlich zum Ausdruck. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen sei, dass bei einem entsprechenden Therapieaufwand immer eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vorliege. Je nach den persönlichen Fähigkeiten und Umständen der betreffenden Person könne sich die Anzahl der Insulininjektionen und die ständige Anpassung der Dosis nämlich unterschiedlich stark auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Zudem sei auch die jeweilige Stoffwechsellage bedeutsam (Hinweis auf Teil B Nr. 15.1 Absatz 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sowie auf BSG, Urteil vom 24.04.2008 – B 9/9a SB 10/06 R), die im Rahmen der Prüfung der gravierenden Beeinträchtigung der Lebensführung zu berücksichtigen sei. Die durch erhebliche Einschnitte bewirkte gravierende Beeinträchtigung in der Lebensführung könne mithin auf Besonderheiten der Therapie beruhen, etwa wenn ein Erkrankter aufgrund persönlicher Defizite für eine Injektion erheblich mehr Zeit benötige als ein anderer, im Umgang mit den Injektionsutensilien versierter Mensch. Einschnitte in der Lebensführung zeigten sich daneben auch bei einem unzulänglichen Therapieerfolg, also der Stoffwechsellage des erkrankten Menschen. Nach dem Gutachten des Privatdozenten Dr. B vom 08.08.2015 bestehe die medikamentöse Therapie des Klägers wegen des AGS in der Regel aus der täglichen Gabe von Hydrocortison in drei Einzeldosen pro Tag und Fludrocortison (Astonin H) in zwei bis drei Einzeldosen pro Tag in Tablettenform. In Stresssituationen, z. B. vor, während und nach Operationen, nach Unfällen, bei fieberhaften Erkrankungen, werde die Glucocorticoiddosis um das zwei- bis vierfache erhöht. Bei Magen-Darm-Infektionen oder anderen Erkrankungen mit Erbrechen und Durchfall erfolge die Hydrocortisongabe intravenös unter stationären Bedingungen. Darüber hinaus müssten die Elektrolyte im Blut (Natrium, Kalium) und der Säure-Basenhaushalt überwacht werden. Wegen der Gefahren durch das AGS seien in den ersten beiden Lebensjahren regelmäßig ambulante Kontrollen alle drei Monate dann alle sechs Monate bis zum Abschluss des Wachstums, dann jährlich, empfohlen, wobei jeweils eine Labordiagnostik aus Blut- und Urinproben erfolge. Es bestehe somit eine erhebliche über das normale Maß hinausgehende Verantwortung und tägliche Belastung der Eltern für den heranwachsenden Patienten, da vor allem im Säuglingsalter eine erhebliche Gefährdung durch mögliche Elektrolytentgleisungen im Rahmen von Infektionen und anderen Stresssituationen bestehe. Es stünden keine speziellen diagnostischen Instrumente zur Verfügung, um eine Gefahrensituation im Zusammenhang mit einer Stoffwechselentgleisung selbständig frühzeitig zu erkennen, wie dies zum Beispiel durch die Blutzuckermessung beim Diabetes mellitus möglich sei. Ein großes Problem sei somit die frühzeitige Erkennung einer adrenalen Krise. Gemessen an den Grundsätzen, die das BSG für die Bewertung des GdB beim Diabetes mellitus aufgestellt habe, bestehe damit zur Überzeugung des Gerichts beim Kläger auf Grund des AGS ein Einzel-GdB von 30. Insofern hat das SG auf den Therapieaufwand unter normalen Umständen und die Erhöhung der Hydrocortisongabe lediglich beim Auftreten von Fieber, Durchfall und Erbrechen abgestellt. Auch sei nach den Angaben des Vaters des Klägers bisher lediglich einmal im Jahr ein Krankenhausaufenthalt erforderlich gewesen. Der Kläger sei insgesamt normal entwickelt und es seien unter der regelmäßigen Substitution mit Hydrocortison und Astonin H bisher kaum Komplikationen aufgetreten. Die Überlegungen des Sachverständigen Dr. B die Zukunft betreffend, könnten keine Berücksichtigung finden. Eine Vergleichbarkeit mit einem an Diabetes mellitus erkrankten Kind, bei dem ein Einzel-GdB von 40 bis 50 gerechtfertigt sei liege nicht vor. Bei dem Kläger seien keine ständigen diätetischen Maßnahmen, keine regelmäßigen Blutentnahmen, keine regelmäßigen auf die Dosis angepassten Medikamenteninjektionen erforderlich. Die Belastung des Klägers und seiner Eltern sei wesentlich niedriger, weil schon das mehrmals tägliche, Kinder häufig belastende Punktieren der Haut entfalle. Die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers sei also wesentlich geringer als bei einem an Diabetes mellitus erkrankten Kind. Der Therapieaufwand sowie die Stoffwechsellage rechtfertigten damit keinen höheren Einzel-GdB als 30, der auch dem Gesamt-GdB entspreche. Darüber hinaus liege bei dem Kläger der Nachteilsausgleich “H“ nicht vor. Auch hier wären die Grundsätze, die für den Diabetes mellitus gelten analog anzuwenden. Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Teil A 5 d) jj) sei beim Diabetes mellitus Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen. Auch nach den Ausführungen des Sachverständigen Privatdozent Dr. B stelle der Diabetes mellitus an die Eltern bzw. Sorgeberechtigten hinsichtlich des Betreuungsaufwandes deutlich höhere Anforderungen als im Falle eines AGS. Die Vergabe des Nachteilsausgleichs lasse sich daher nicht rechtfertigen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 09.05.2016 zugestellte Urteil am 23.05.2016 Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, dem SG sei insoweit zu folgen, als am ehesten eine Vergleichbarkeit mit einem Diabetes mellitus mit seiner Erkrankung gegeben sei. Die besondere Schwierigkeit bei der Behandlung von AGS liege darin, dass einfache Messmethoden zur Einstellung der Medikamentation nicht vorlägen. Die Grundeinstellung müsse daher ohne genaue Laborwerte kurzfristig angepasst und er unter ständige Beobachtung gestellt werden. Bezüglich der Medikamentation finde regelmäßig eine ärztliche Kontrolle im Krankenhaus, mindestens sechsmal jährlich, statt. Eine mögliche Entgleisung sei schwerlich frühzeitig erkennbar, insbesondere bei Stresssituationen, aber auch Entzündungen, welche nicht ersichtlich seien. Diese ergäben sich erst aus einer Blutuntersuchung, seien allein durch eine Beobachtung daher kaum erkennbar. Eine Anpassung der Medikamentendosis in vorbeugender Form sei anders als bei erkannten Risiken wie Fieber oder erkennbaren Entzündungen dann nicht möglich. Es müsse daher eine ständige Beobachtung und Kontrolle stattfinden. Zudem sei angesichts des mit der Erkrankung AGS verbundenen starken Schwitzens die Gefahr von Infektionen zu vermeiden, was auch eine ständige Kontrolle erfordere, so dass eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtung grundsätzlich angezeigt sei. Zudem diene das Kontrollverhalten dem Erkennen plötzlicher Lethargie oder Bewusstseinsstörungen, welche auch ohne vorheriges Fieber oder erkennbare Entzündung bei Stoffwechselentgleisungen entstünden und zu einem sofortigen lebensbedrohlichen Zustand führten. Es sei daher eine sehr konzentrierte und intensive Beobachtung unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte im individuellen Umgang mit dem Kläger erforderlich. Der Aufwand sei daher sogar eher höher als bei einem Diabetes mellitus. Auch sei angesichts der Gefährlichkeit der Erkrankung in Bezug auf mögliche Folgen das Risiko der Erkrankung AGS nicht geringer einzuschätzen als das eines Diabetes mellitus Typ I. Beim Therapieaufwand sei auch zu berücksichtigen, dass Dritte, besonders Erzieher und Erzieherinnen im Kindergarten, Lehrerinnen und Lehrer in der Schule, eine Medikamentation oder eine Medikamentationsanpassung nicht vornähmen, so dass beispielsweise bei Ausflügen, Klassenfahrten oder anderen mit körperlichem oder mentalem Stress verbundenen Situationen die Verantwortung von Dritten regelmäßig nicht übernommen werde. Derzeit sei lediglich eine Halbtagsunterbringung im Kindergarten unter der Bedingung der ständigen Erreichbarkeit eines Elternteils möglich, so dass eine normale kindliche Lebensführung dem Kläger, ebenso wie bei einem an Diabetes mellitus erkranktem Kind verwehrt sei. Ein späterer Schulbesuch dürfte im Grundschulalter wohl einen Integrationshelfer erfordern. Im Übrigen ist der Kläger der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 33b Absatz 6 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) betreffend das Merkzeichen “H“ gegeben seien. Die dort genannten Voraussetzungen seien auch erfüllt, wenn Hilfe in Form von Überwachung oder Anleitung erforderlich sie und wenn Hilfe zwar nicht dauern geleistet werden müsse, jedoch eine ständige Bereitschaft für Hilfe erforderlich sei. Es könne nur der Hilfebedarf anerkannt werden, der den Umfang der Hilfebedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreite. Während bei entsprechenden Sicherungseinrichtungen ein normales Kind auch kurzfristig einer nur mäßigen Aufsicht bedürfe, eine Temperaturkontrolle im Regelfall bei einem gesunden gleichaltrigen Kind nicht ständig erfolgen müsse, sei die Beaufsichtigungs- und Beobachtungsintensität angesichts der lebensbedrohlichen Gefahren bei seiner Erkrankung ständig gegeben. Die Interventionen, die auch körperlichen Stress bedeuteten, bei alltäglichen kleinen “Unfällen“ seien wesentlich intensiver. Auch aus für gesunde Kinder alltäglichen kleineren Verletzungen könne binnen kürzester Zeit eine Dehydrierung erfolgen, die eine stationäre Notfallbehandlung erfordere, wenn die Medikation nicht unverzüglich auf das Ereignis eingestellt werde. Insofern verweist der Kläger auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 03.05.2006 (L 9 SB 45/03), dem seiner Auffassung nach zu folgen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27.04.2016 aufzuheben, sowie den Bescheid des Beklagten vom 27.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2014 sowie des Teilanerkenntnisses vom 22.12.2015 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger einen GdB von 60 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs “H“ festzustellen.,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Berufungsvorbringen sei nicht geeignet eine günstigere Beurteilung zu rechtfertigen. Das SG habe rechtsfehlerfrei entschieden. Die Therapie des Klägers erfolge in der Regel nicht durch Injektionen sondern durch dreimal täglich orale Medikation von zwei Medikamenten. Der Therapieaufwand sei nicht mit dem bei an Diabetes erkrankten Kindern mit erforderlicher Blutzuckermessung und kontinuierlicher Dokumentation und Anpassung der Dosis vergleichbar. Auch liege bei dem Kläger keine vergleichbar gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung vor, die einen GdB von 50 oder höher begründen könnte. Der Kläger sei auch nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. B normal entwickelt und befinde sich in einem guten Allgemeinzustand. Bisher seien bei ihm kaum Komplikationen eingetreten. Eine instabile Stoffwechsellage bei unzulänglichem Therapieerfolg, die einen höheren GdB begründen könne, sei aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht ableitbar. Der Beeinträchtigung des Klägers und der damit verbundenen, über das normale Maß hinausgehenden Verantwortung und Belastung der Eltern durch den Therapieaufwand sei mit Zuerkennung des GdB von 30 Rechnung getragen. Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen bei dem Kläger (Therapie- und Betreuungsaufwand) erreiche im Vergleich zur Hilfebedürftigkeit eines gleichaltrigen Kindes nicht das Maß einer Hilflosigkeit im Sinne des § 33 b EStG. Dies habe auch Dr. B in seinem Gutachten ausgeführt.

Der Senat hat die Eltern des Klägers in der mündlichen Verhandlung gehört. Insofern wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.11.2016 Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Schwerbehindertenakte des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30 sowie des Nachteilsausgleiches „H“. Insofern wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in den erstinstanzlichen Entscheidungsgründen Bezug genommen (§ 153 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Im Berufungsverfahren haben sich auch nach Anhörung der Eltern des Klägers keine neuen Aspekte ergeben.

Zunächst ist die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers, das AGS mit Salzverlust, mit einem GdB von 30 zur Überzeugung des Senats zutreffend eingestuft. Er ist damit an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind am unteren Rand des möglichen GdB-Rahmens von 30 bis 40 gleichgestellt. Dies erscheint angesichts des Umstandes, dass bei dem Kläger im Normalfall eine gleichbleibende Medikamentengabe dreimal täglich von insgesamt zwei Medikamenten erfolgt, als ausreichend anzusehen. Dabei ist berücksichtigt, dass es grundsätzlich bei dem Kläger aufgrund seiner Erkrankung zu einer Stoffwechselentgleisung kommen kann. Nach den Angaben des Sachverständigen Dr. B in seinem Gutachten vom 08.08.2015 liegt allerdings die Frequenz adrenaler Krisen ohne Berücksichtigung von neonatalen Krisen (was hier angesichts der Antragstellung erst im ersten Lebensjahr des Klägers angemessen erscheint) bei lediglich 3,8 bzw. 4,9 pro hundert Patientenjahre (vgl. S. 6 des Gutachtens unter Hinweis auf eine Studie von Reisch N., Willige M., Kohn D., und anderen, zitiert in Fußnote 5 des Gutachtens). Der Kläger ist, worauf auch das SG hingewiesen hat, nach den Feststellungen des Sachverständigen und auch nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen normal entwickelt. Er weist lediglich ein Übergewicht auf, dass unter Umständen auf die Medikamentengabe zurückzuführen ist, wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. B ergibt. Da keine von dem Kläger spürbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorliegen, bestehen seine Beeinträchtigungen in der Lebensführung im Wesentlichen in dem notwendigen Therapieaufwand, das heißt (1) in der Medikamenteneinnahme, die möglicherweise gerade von einem so kleinem Kind als unangenehm empfunden wird, sowie (2) in der Notwendigkeit zu regelmäßigen ambulanten Kontrollen (im Durchschnitt alle drei Monate, wie der Vater in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mitgeteilt hat) sowie (3) den (weiteren) Beeinträchtigungen die entstehen, wenn aufgrund besonderer Umstände, sogenannten Stresssituationen, eine vermehrte Gabe des Medikaments und gegebenenfalls des Aufsuchen eines Arztes notwendig wird, insbesondere, wenn aufgrund von anderen Krankheiten (Erbrechen, Durchfall) eine intravenöse Gabe des Medikamentes erforderlich ist, um dessen Wirksamkeit sicher zu stellen. Nach den Angaben des Vaters in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2016 fand der letzte Krankenhausaufenthalt 2015 statt. Eine Allergie, die der Kläger im Urlaub entwickelt hatte, konnten die Eltern mit Medikamenten in den Griff bekommen. Zuvor war es durchschnittlich einmal pro Jahr zu einem stationären Aufenthalt gekommen. Bis Juni 2013 war ausweislich des Krankenhausberichts vom 21.06.2013 eine Stressdosis selten notwendig und ab Juni 2013 bis zur stationären Aufnahme im April 2014 ausweislich der Krankenhausberichte vom 17.01.2014 und 05.05.2014 gar nicht. Der Vater des Klägers hat hierzu nunmehr ergänzend angegeben, dass im Jahr 2016 eine Erhöhung der Medikamentendosis ca. drei- bis viermal erforderlich gewesen sei, so auch im Frühjahr anlässlich der Beschneidung des Klägers. Vor diesem Hintergrund ist ein höherer GdB als 30 nicht angemessen. Zutreffend hat das SG in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass dem Kläger möglicherweise drohende Spätfolgen zu diesem frühen Zeitpunkt, so lange sich diese Folgen noch nicht manifestiert haben und lediglich die statistische Wahrscheinlichkeit hierzu erhöht ist, nicht berücksichtigt werden können. Insofern hat das BSG in dem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 25.10.2012 (B 9 SB 2/12 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 16) darauf hingewiesen, dass die Beurteilung des GdB im Schwerbehindertenrecht ausschließlich final, also orientiert an dem tatsächlich bestehenden Zustand des behinderten Menschen zu erfolgen habe (a.a.O., Juris Rn. 48). Dies bedeutet zum einen, dass es auf die Ursache einer Beeinträchtigung nicht ankommt. Dies bedeutet aber auch zum anderen und gerade im Falle des Klägers, dass, solange seine Krankheit noch keine Beeinträchtigungen – gegebenenfalls mit Ausnahme des Übergewichts, sollte dies auf die Medikamente zurückzuführen sein, – hervorbringt, da seine Eltern für eine korrekte Einhaltung der Therapie sorgen und zum Glück noch keine Komplikationen aufgetreten sind, zukünftige Einschränkungen oder Einschränkungen die bei einem Nachlassen der Therapieanstrengungen auftreten könnten, nicht zu berücksichtigen sind.

Ein höherer GdB-Wert ist auch nicht unter dem Aspekt der besonderen Gefährlichkeit der Erkrankung, selbst wenn eine Stoffwechselentgleisung – wie oben ausgeführt – durchaus selten vorkommt, und die damit verbundene psychische Belastung gerechtfertigt. Der Kläger selbst ist zu diesem Zeitpunkt gerade dreieinhalb Jahre alt und noch nicht in der Lage, sich ein zutreffendes Bild von seiner Erkrankung zu machen. Auch wenn der Kläger auf indirekte Weise die Sorge seiner Eltern spüren mag, ist dies mit dem GdB von 30 ausreichend berücksichtigt. Eine psychische Belastung der Eltern kann nicht im Rahmen der GdB-Feststellung für das betroffene Kind berücksichtigt werden, sondern allenfalls eine eigene Beeinträchtigung des jeweiligen Elternteils selbst und damit einen eigenen GdB-Wert auslösen. Berücksichtigt werden können hier nur die Beeinträchtigungen des Klägers selbst. Da der Kläger nach den eigenen Angaben der Prozessbevollmächtigten mittlerweile – wie andere Kinder auch in seinem Alter – halbtags einen Kindergarten besucht, ist auch unter dem Aspekt einer eventuellen Isolation des Klägers durch die ständige Beobachtung durch seine Eltern oder einen anderen Erwachsenen keine Erhöhung des GdB angezeigt.

Auch hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs “H“ kann die Berufung keinen Erfolg haben. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft nicht notwendig wäre für eine Anerkennung des Merkzeichens “H“ (vgl. hierzu Sächsisches LSG, Urteil vom 20.09.2010 – L 6 SB 20/90, Juris Rn. 96 für den Fall eines an Galaktosämie leidenden Kindes).

Gemäß Teil A Nr. 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind diejenigen hilflos, die in Folge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (b). Damit greifen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze, soweit die allgemeinen Ausführungen betroffen sind, die Definition der Hilflosigkeit in § 33b Absatz 6 Satz 3 und 4 EStG auf.

Häufig und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz zum Ablauf eines jeden Tages sind insbesondere An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Verrichten der Notdurft. Daneben sind notwendige körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeiten zur Kommunikation zu berücksichtigen. Eine ständige Bereitschaft ist dabei anzunehmen, wenn Hilfe häufig und plötzlich wegen akuter Lebensgefahr notwendig ist (Teil A Nr. 4 c der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen muss erheblich sein. Dies ist nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig und regelmäßig wiederkehren, benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen nicht. Außen vor bleiben Verrichtungen, die mit der Pflege der Person nicht unmittelbar zusammenhängen, wie zum Beispiel die hauswirtschaftliche Versorgung (Teil A Nr. 4 d). Nach der Rechtsprechung des BSG ist insofern regelmäßig erforderlich, dass ein Hilfebedarf bei mindestens drei Verrichtungen besteht und einen Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden erreicht, wenn nicht weitere Umstände der Hilfeleistung (z.B. deren wirtschaftlicher Wert) zum Tragen kommen (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2015 - B 9a SB 1/05 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 3 Rn. 16f.).

Besonderheiten bei der Beurteilung der Hilflosigkeit bei Kindern und Jugendlichen regeln die Versorgungsmedizinischen Grundsätze in ihrem Teil A Nr. 5. Hier sind nicht nur die bei der Hilflosigkeit genannten “Verrichtungen“ zu beachten, auch die Anleitung zu diesen “Verrichtungen“, die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung gehören zu den Hilfeleistungen, die für die Frage der Hilflosigkeit von Bedeutung sind (a). Des Weiteren ist, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nur der Teil der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen, der wegen der Behinderung den Umfang der Hilfebedürftigkeit eines gesunden gleichaltrigen Kindes überschreitet (b) Satz 1). Auch bei einem Kind muss der Umfang der wegen der Behinderungen notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen erheblich sein (b) Satz 2). Ferner bestimmen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze in ihrem Teil A Nr. 5 d) jj), dass beim Diabetes mellitus Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen ist. Weitere Voraussetzungen, insbesondere zum Therapieaufwand, werden nicht genannt. Dem gegenüber gehen die Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Beispiel bei Phenylketonurie von Hilflosigkeit in der Regel nur bis zum 14. Lebensjahr aus. Über das 14. Lebensjahr hinaus kommt Hilflosigkeit dann nur noch in Betracht, wenn gleichzeitig eine relevante Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung vorliegt.

Im Ergebnis ist damit nicht hilflos, wer nur in relativ geringem Umfange auf fremde Hilfe angewiesen ist. Dies trifft in jedem Fall auf den Kläger zu, dessen Hilfebedürftigkeit das alterstypische Maß im Rahmen seiner alltäglichen Lebensführung grundsätzlich nicht übersteigt. Auch ein gesundes dreijähriges Kind bedarf grundsätzlich der ständigen Beaufsichtigung und engmaschigen Kontrolle im Hinblick auf mögliche (Selbst-)Verletzungen und von ihm nicht einzuschätzenden Gefahren. Gerade mit der zunehmenden Mobilität eines Kleinkindes steigt auch die Anforderung an den Betreuungsaufwand durch die Eltern oder Dritte. Soweit im Rahmen dieses normalen Betreuungsaufwandes auch auf Anzeichen für eine mögliche Stresssituation (z. B. das Auftreten von Fieber) geachtet wird, bedeutet dies keinen derart erhöhten Aufwand, dass dies die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches “H“ rechtfertigen könnte. Auch bei einem nicht von AGS mit Salzverlust betroffenem Kind müssen die Eltern oder andere erwachsene Betreuungspersonen jederzeit bereit stehen, um auf ein eventuelles Erbrechen oder auf Durchfall zu reagieren. Ein Kind in diesem Alter wird grundsätzlich nie vollkommen allein oder vollkommen unbeaufsichtigt sein. Anhaltspunkte dafür, dass ein Beobachtungsbedarf bei dem Kläger auch dann besteht, wenn ein gesundes Kind sich, zum Beispiel während des Mittagsschlafes oder während des Nachtschlafes, ohne Anwesenheit eines Erwachsenen im gleichen Raum aufhalten kann, bestehen nicht. Dies wäre auch nicht nachvollziehbar. Soweit der Kläger vorträgt, bei ihm sei eine besonders aufmerksame Kontrolle und Beobachtung erforderlich, ist nicht ersichtlich, inwieweit sich hieraus weitere Hilfeleistungen ergeben können, die bei einem gleichaltrigen gesunden Kind nicht anfallen. Allein der Umstand, dass der Kläger mittlerweile einen Kindergarten zumindest für einen halben Tag besucht, zeigt dass die “normale“ Beaufsichtigung eines Dreijährigen auch im Falle des Klägers ausreichend ist. Der Vater hat hierzu angegeben, dass er die Betreuer lediglich darauf hingewiesen habe, dass sie immer ein Auge auf ihn haben müssten. Weitere Maßnahmen, z.B. auch der Einsatz eines Integrationshelfers, waren damit offensichtlich nicht erforderlich

Dass sich ein erhöhter Kontrollbedarf möglicherweise in der Zukunft entwickeln kann, wenn der Kläger einerseits mobiler und unabhängig wird, andererseits aber noch nicht die notwendige Einsicht hat, sich bei auftretenden Beschwerden, sofort an einen Erwachsenen zur Hilfe bei der Selbstmedikation zu wenden oder erst recht noch nicht zur Selbstmedikation fähig ist, muss vorliegend außer Betracht bleiben, da entscheidungserheblich lediglich der Zeitraum ab Antragstellung im März 2014 bis zum Tag der mündlichen Verhandlung am 09.11.2016 sein kann.

Dem Kläger steht das Merkzeichen “H“ auch nicht unter dem Aspekt der Gleichstellung mit einem Kind, das an Diabetes mellitus erkrankt ist, zu. Diesen Kindern wird – wie bereits oben ausgeführt – dieser Nachteilsausgleich bis zum 16. Lebensjahr unabhängig von dem tatsächlichen individuellen Hilfebedarf zugestanden. Erst ab dem 16. Lebensjahr kommt es auf die Einzelsituation an. Teil A Nr. 5 d) jj) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist insoweit durch die Zweite Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14.07.2010 (BGBl I S. 928) mit Wirkung zum 22.07.2010 geändert worden, als der bis dahin bestehende Zusatz “bei fortbestehender instabiler Stoffwechsellage bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres“ entfallen ist. Der Gesetzgeber hat für jede der in Teil A Nr. 5 d) genannten Erkrankungen unterschiedliche Voraussetzungen definiert. So hat er, wie bereits ausgeführt, zum Beispiel bei der Phenylketonurie im Unterschied zum Diabetes mellitus Hilflosigkeit in der Regel nur bis zum 14. Lebensjahr, darüber hinaus nur noch dann angenommen, wenn gleichzeitig eine relevante Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung vorliegt (Teil A Nr. 5 d) kk)). Bei der Mukoviszidose hat er neben dem Alter die Notwendigkeit umfangreicher Betreuungsmaßnahmen als Voraussetzung für eine Gewährung des Merkzeichens “H“ bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres genannt und dies immer angenommen bei einem GdB von wenigstens 50 (Teil A Nr. 5 d) ll)). Allein diese unterschiedliche Ausgestaltung zeigt schon, dass ein Rückgriff auf diese Regelung für eine andere, ausdrücklich nicht genannte Erkrankung grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Dies gilt auch dann, wenn diese Erkrankung – wie hier vorliegend bei dem AGS mit Salzverlust – für die Bewertung des GdB mangels Vorgaben in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen einen Rückgriff auf die Ausführungen zu dieser Erkrankung notwendig macht. Auch wenn möglicherweise eine Vergleichbarkeit bei den Beeinträchtigungen in der Lebensführung aufgrund zweier unterschiedlicher Erkrankungen vorhanden ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass auch die notwendige Hilfebedürftigkeit gleich zu beurteilen wäre. Ein Rückgriff aus Gleichheitsgesichtspunkten auf die Regelung zum Diabetes mellitus kommt daher für den Kläger nicht in Betracht (anders allerdings LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 25.05.2016 – L 13 SB 87/15, Juris Rn. 41). Es ist damit hier allein auf den individuellen tatsächlichen Hilfebedarf des Klägers abzustellen. Dieser geht jedoch – wie oben dargelegt - nicht weit über das hinaus, was bei einem gleichaltrigen Dreijährigen ohnehin zu leisten ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, in wieweit eine “genauere“ Beobachtung des Klägers aufgrund seiner Erkrankung als bei der Beaufsichtigung, welche ohnehin bei einem dreijährigen Kind erforderlich ist, zu leisten wäre.

Da angesichts des Alters des Klägers auch unter Berücksichtigung der Angaben der Eltern, die im Übrigen lediglich über ein vermehrtes Schwitzen und damit über vermehrte Hausarbeit berichten, kein täglicher Hilfebedarf von mindestens einer Stunde zu erkennen ist, muss auch nicht entschieden werden, ob möglicherweise bei einem Kind ein zeitlicher Betreuungsaufwand von unter zwei Stunden berücksichtigungsfähig ist, solange nur aufgrund der zeitlichen Verteilung des Hilfebedarfs ein besonders hoher wirtschaftlicher Wert erreicht ist (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2003 – B 9 SB 1/02 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 1, Juris Rn. 18; zustimmend Sächsisches LSG, Urteil vom 20.09.2010 – L 6 SB 20/9, Juris Rn. 110).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe § 160 Absatz 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere ist eine Divergenz im Sinne von Absatz 2 Nr. 2 nicht gegeben, weil der Senat eine andere Auffassung als das LSG Niedersachsen-Bremen in seinen Urteilen vom 03.05.2006 – L 9 SB 45/03 - bzw. vom 25.05.2016 – L 13 SB 87/15 - vertritt, wie der Kläger meint. Eine Abweichung, die Anlass zur Zulassung der Revision gibt, besteht nur, wenn es eine Entscheidung der in der Nr. 2 abschließend aufgezählten Gerichte, nämlich des BSG, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, betrifft, was hier eindeutig nicht der Fall ist. Eine grundsätzliche Rechtsfrage ist im Übrigen von dem Kläger nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.



Versorgungsmedizinische Grundsätze
in der Fassung der 5. Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung